Einst wurde der Barsch künstlich im ostafrikanischen Victoriasee ausgesetzt und zerstörte das ökologische Gleichgewicht. Warum er jetzt kurz vor dem Aussterben ist, hat Simone Schlindwein recherchiert.
Richard Muwonge wirft sein Netz aus. Für einen kurzen Moment zerschneiden die Maschen die spiegelglatte Oberfläche des Sees. Das Holzboot des zwanzigjährigen Fischers treibt nicht weit vom Ufer entfernt auf dem Victoriasee. In der Abenddämmerung sind die Lichter von Ugandas Hauptstadt Kampala erkennbar.
Mit gekonnten Griffen holt Muwonge das Netz wieder ein. In ihm zappeln eine Handvoll kleine Aale. „Die fange ich als Köder, mit dem ich heute Nacht draußen auf dem See dann die Barsche anlocke“, erklärt er, während er die Aale aus dem Netz befreit und in einen Eimer mit Wasser plumpsen lässt. „Hier in Ufernähe ist sonst alles leergefischt“, fügt er hinzu.
Mit einer Oberfläche ungefähr so groß wie Österreich ohne das Bundesland Tirol ist der Victoriasee flächenmäßig der drittgrößte See der Erde. Berühmt und berüchtigt ist der Nilbarsch vulgo Victoriabarsch, der in den 1960er Jahren in dem riesigen Gewässer ausgesetzt wurde (siehe Kasten). Da er keine natürlichen Feinde hatte, wuchs er auf gewaltige Größen an. Er zerstörte das ökologische Gleichgewicht des Sees, andere Fischarten starben aus.
Schwund. Als noch Muwonges Vater vor über einem Jahrzehnt fischte, gab es Victorabarsch in Übermengen, selbst in Ufernähe. Heute muss der junge Fischer jede Nacht weit hinausfahren, um überhaupt einen zu fangen. Er zieht sein Handy aus der Hosentasche der wasserdichten Regenhose und zeigt Fotos: ein Barsch, ungefähr so lang wie sein Unterarm. „Das ist das größte Exemplar, das ich in jüngster Zeit gefangen habe“, sagt er seufzend. Immerhin, für 50.000 Uganda-Schillinge, umgerechnet rund 13 Euro, hat er ihn verkauft. Hier ist das ein kleines Vermögen. Doch um einen solchen Barsch ins Netz zu kriegen, ist er oft nächtelang unterwegs, weit draußen auf dem See.
Der Victoriabarsch ist kurz vor dem Aussterben – mit gewaltigen Folgen für die ganze Region. Drei Länder liegen am Victoriasee: Uganda, Kenia, Tansania. Für über 30 Millionen Menschen ist der Riesenfisch nicht nur Grundnahrungsmittel, sondern generiert auch ein stabiles Einkommen, denn er ist für alle drei Staaten ein wichtiges Exportprodukt. Ein Kilo des weltweit berühmten Victoriabarsches wird auf dem Fischmarkt in Hamburg für mehr als 20 Euro angeboten. Bis in die USA, nach Australien oder Indien wird er exportiert. Der größte Abnehmer ist mittlerweile China.
Sinkende Exportmengen. Doch der Export sinkt dramatisch: 2015 waren es aus Uganda nur noch 17.500 Tonnen, verglichen mit 25.000 Tonnen vor etwa zehn Jahren. Rund um den See musste die Hälfte der 36 fischverarbeitenden Industrien schließen, tausende Menschen verloren ihre Arbeitsplätze. Junge Fischer wie Muwonge, die aufgrund mangelnder Bildung sonst keinen Job finden, haben kaum mehr Chancen auf ein Einkommen.
Darwins Alptraum
Der Nilbarsch („Victoriabarsch“) wurde in den 1960er Jahren im Victoriasee ausgesetzt. Er entstammt anderen Süßwasserseen Afrikas, kam aber im Victoriasee nicht natürlich vor. Da er zu den Raubfischen gehört und keine natürlichen Feinde hatte, starben als Folge ein Großteil der rund 500 kleineren Buntbarsch-Arten aus, die natürlich im See vorkamen. Der Victoriabarsch wurde enorm groß: Fotos von gefangenen Exemplaren in der Größe eines Delphins mit bis zu 200 Kilo hängen bei manch einem Hobbyfischer als Trophäen an der Wand.
Derzeit ziehen die Fischer Victoriabarsche mit viel zu engmaschigen Netzen aus dem Wasser. Oftmals benutzen sie Moskitonetze, die von NGOs gegen Malaria kostenlos verteilt werden. Damit sterben auch die Jungtiere, die noch nicht ausgereift sind, um Eier zu legen. Die Bestände schwinden damit immer rascher.
Mangels Pflanzen fressender Fische wuchern seitdem Algen im See, vor allem die Wasserhyazinthen, die zum Teil die Oberfläche des Gewässers in Ufernähe komplett bedecken, sich in Schiffsschrauben verheddern und das seichte Gewässer in eine modernde Brühe verwandeln.
Der Dokumentarfilm „Darwin’s Nightmare“ des österreichischen Regisseurs Hubert Sauper aus dem Jahr 2004 zeigt die ökologischen und ökonomischen Folgen der Aussetzung des Barsches. Er dokumentiert entlang des Ufers des Victoriasees, wie dieselben Flugzeuge, die das wertvolle Fischfilet aus Tansania heraus transportieren, Waffen für Kriege in die Region liefern – und den Menschen vor Ort nichts weiter zum Überleben bleibt als die halbverwesten Fischköpfe und Gräten. S.S.
Ein ganzer Wirtschaftszweig ist am Zusammenbrechen. Fischerdörfer auf den unzähligen Inseln und in Ufernähe sind schon leergefegt, Läden wurden zugesperrt.
Fischverbot gefordert. Die Lage ist so prekär, dass die Regierungen der Anrainerstaaten jetzt reagieren. Der Direktor von Ugandas Fischerei-Forschungsinstitut, Anthony Taabu Munyaho, fordert ein totales Fischverbot für mindestens sechs Monate: „Wir müssen das unmittelbar umsetzen“, sagt er. Die jüngsten Proben hätten ergeben, dass bis zu 95 Prozent der Barsche im Victoriasee kleiner seien als 50 Zentimeter, also Jungtiere, die noch keine Eier legen. Um den Fischbestand zu retten, müssten die Barsche wieder wachsen, damit sie ausreichend Nachwuchs zeugen.
Ugandas Präsident Yoweri Museveni erließ im März per Dekret drastische Maßnahmen: Fischer, die junge Barsche fangen, sollen mit sieben Jahren Gefängnis bestraft werden, bisher waren es zwei Jahre. Nur noch ausgewachsener Barsch, der älter als eineinhalb Jahre und länger als 50 Zentimeter ist, darf gefangen werden. Auch für die Maschengröße der Netze wurden neue Regeln erlassen. Der Präsident ent–sand–te seine gut trainierten Spezialeinheiten auf den See. Mit Folgen: Jetzt kommt es auf den kleinen Inseln entlang der Staatsgrenzen zu Auseinandersetzungen. Fischer Muwonge fürchtet jetzt nicht nur mehr das Ertrinken, sondern auch die Marineboote, die Jagd auf Fischer machen.
Im Rahmen der Ostafrikanischen Gemeinschaft sollen jetzt die Strategien vereinheitlicht werden, um den Victoriabarsch und den See zu retten. Ein Managementplan bis 2020 wurde verabschiedet, in welchem der Aufbau von Fischfarmen vorgesehen ist, in welchen die Barsche gefüttert werden und heranwachsen sollen, damit sie wieder genügend Eier legen.
Fischer Muwonge packt sein Netz ein, rüstet sich für die lange Nacht weit draußen auf dem See. „Unser Job ist gefährlich geworden“, sagt er. „Aber ich muss doch meine Familie versorgen.“
Simone Schlindwein ist freie Journalistin in der Region der Großen Seen in Afrika.
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